Am 10. November war es endlich soweit. Als es im kalifornischen Palmdale hell wurde, rollte die erste Northrop Grumman B-21 (Spitzname "Cerberus" an der Bugfahrwerksklappe) zum Bahnende der 07 und hob um 6.51 Uhr in den wolkenlos blauen Himmel zum Erstflug ab. Fast 35 Jahre nach der B-2A konnte die US Air Force also einen extrem bedeutenden Erstflug feiern, aber der war ihr (und dem Pentagon) keine Erwähnung wert. Auf Nachfrage gab es nur ein Standard-Statement von USAF-Sprecherin Ann Stefanek: "Die B-21 Raider ist im Flugtest. Die Flugerprobung ist ein entscheidender Schritt in der Testkampagne, die vom Air Force Test Center und der B-21 Combined Test Force der 412. Teststaffel geleitet wird (...)." Immerhin wurde auch bestätigt, dass die B-21 um 8.30 Uhr in Edwards AFB, etwa 35 Kilometer nordöstlich, gelandet war. Selbst die Piloten wurden aber nicht genannt.
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REUTERS/David Swanson
Die B-21 hob am 10. November 2023 von Palmdale aus zum Erstflug ab.
Viele Fragen noch offen
So blieben zunächst einige Fotos und Videos von hartnäckigen Spottern vor Ort in Palmdale. Diese zeigten die erwartete Flügelform ohne den "Beavertail" der B-2. Einzige Überraschung: Im Lufteinlaufbereich senkrecht nach oben ausfahrende, dreieckige Strukturen sind in der Tat Hilfslufteinläufe für Start und Landung. Ob zwei oder vier Triebwerke bleibt unklar. Eine weitere interessante Frage: Hat die B-21 neben ihrem Haupt-Waffenschacht zwei kleine zusätzliche Schächte (Selbstverteidigungswaffen)? Der Start des B-21-Testflugprogramms erfolgte fast ein Jahr nach der offiziellen Rollout-Feier am 2. Dezember 2022. Damals waren etwa 600 Gäste geladen, um einen ersten kurzen und eingeschränkten Blick auf den neuen Superbomber zu werfen. Dabei durfte das Flugzeug Nr. 001 nur von einer speziellen Plattform aus mit kleinen Objektiven von vorne fotografiert werden.

U.S Air Force
Durch die strenge Geheimhaltung sind bisher nur wenige Details der B-21 Raider bekannt.
Reichweite und Stealth
Dieses Setting war bewusst gewählt worden, um so wenig wie möglich von dem hoch geheimen Design preiszugeben. So blieben die Flügelform und das Heck weiter im Dunkeln. Insgesamt lässt sich wohl sagen, dass die B-21 eine mit den Erfahrungen von fast 30 Jahren B-2-Betrieb und der Anwendung neuester Technologien optimierte Spirit ist. Zu den Auffälligkeiten zählen:
- Die B-21 ist in einem helleren Grau lackiert, was darauf hindeutet, dass sie mehr auch am Tag eingesetzt werden soll.
- Der dicke "Bauch" zieht sich weit nach außen und bietet ein enormes Volumen für Kraftstoff und Waffen.
- Die extra schmalen Lufteinlassschlitze für die Triebwerke liegen weiter vorn und schmiegen sich an den "Rumpf" an. Ihr Design soll ein besonderes Problem gewesen sein, denn gerade in diesem Bereich ist die Luftströmung schwer berechenbar.
- Die Flügelvorderkante scheint über die gesamte Spannweite einheitlich scharfkantiger als bei der B-2A zu sein. Dennoch gibt es in der Mitte eine Art Schnabel, allerdings deutlich weniger ausgeprägt.
- Die Fensterform aus der neuesten Zeichnung mit den schmalen Seitenfenstern und den kleinen Bugfenstern wurde bestätigt. Dies ist den Stealth-Eigenschaften geschuldet, muss aber für die zweiköpfige Crew ein ausreichendes Sichtfeld für Luftbetankungen bieten.
- Es gibt zwei Bugräder und das Hauptfahrwerk ist ebenfalls je zweirädrig. Alle Bugfahrwerksklappen sind nun seitlich angeordnet.
- Generell war die Oberfläche auffallend glatt, ohne sichtbare Stöße von Bauteilen. Man kann davon ausgehen, dass die B-21 eine neuartige Breitbandbeschichtung gegen Radarstrahlen hat, die viel robuster ist als bei der B-2A, die nach jedem Flug aufwendig ausgebessert werden muss.
Hohe Erwartungen
Natürlich lobten Admiral Christopher W. Grady (stellvertretender Vorsitzender der Joint Chiefs of Staff) und US-Verteidigungsminister Lloyd Austin III in ihren Ansprachen den "ersten strategischen Bomber in über drei Jahrzehnten" in den höchsten Tönen. Es sei ein "stolzer Tag für die US Air Force und unser Land", der Bomber sei ein Ausdruck des "einzigartigen amerikanischen Geists der Innovation und Erfindung", ein "Beweis für das langfristige Engagement des Pentagons für den Aufbau fortschrittlicher Fähigkeiten, die Amerikas Fähigkeit zur Abschreckung von Aggressionen heute und in Zukunft stärken werden". Laut Austin ist das, "was sich in der Zelle unter den supermodernen Beschichtungen verbirgt, noch beeindruckender". "Kein anderer Langstreckenbomber kann es mit seiner Effizienz aufnehmen. Er wird nicht im Einsatzgebiet stationiert sein müssen. Er wird keine logistische Unterstützung benötigen, um jedes Ziel zu erreichen." Dies ist heute wichtiger denn je, denn als möglicher Gegner wird China gesehen, was enorme Reichweiten erfordert, selbst wenn unterwegs in der Luft aufgetankt wird. Was die Stealth-Eigenschaften betrifft, so sind "in dieses Flugzeug fünfzig Jahre an Fortschritten in der Technologie (…) eingeflossen. Und selbst die ausgefeiltesten Luftabwehrsysteme werden Mühe haben, die B-21 am Himmel zu entdecken." Zudem ist die B-21 laut Austin "sorgfältig darauf ausgelegt, der wartungsfreundlichste Bomber zu sein, der je gebaut wurde". General Charles Q. Brown Jr., damals USAF Chief of Staff, sprachdavon, dass hohe Einsatzraten erwartet werden.

US Air Force
Beim Rollout im Dezember 2022 war auch US-Verteidigungsminister Lloyd J. Austin III dabei.
Multifuntions-Bomber
Der Raider ist so konzipiert, dass er sowohl konventionelle als auch nukleare Munition mit beeindruckender Präzision einsetzen kann. "Wie die Generationen von Bombern vor ihr wird die B-21 also in der Lage sein, unsere Streitkräfte und Streitkräfte von Verbündeten über das gesamte Spektrum von Operationen zu unterstützen", sagte Austin. Natürlich ist die Zuladung der B-21 geringer als bei der B-2A, aber sie muss mindestens Platz bieten für eine GBU-57/B MOP (Massive Ordnance Penetrator, Länge 6,2 m, Gewicht 14 000 kg) oder einer Reihe von AGM-181 LRSO (Long-Range Standoff, Marschflugkörper mit 2500 km Reichweite). "Und die B-21 ist multifunktional. Sie kann alles – von der Informationsbeschaffung über das Gefechtsmanagement bis hin zur Integration mit unseren Verbündeten und Partnern. Und sie wird nahtlos in allen Bereichen, auf allen Schauplätzen und in allen Teilstreitkräften eingesetzt", betonte Austin. Nicht erwähnt wurde die Möglichkeit, den Bomber, zumindest langfristig gesehen, auch unbemannt einzusetzen. Jedenfalls ist das Flugzeug mit einer offenen Systemarchitektur ausgestattet, die es äußerst anpassungsfähig macht. Northrop Grumman spricht davon, dass man keine Block-Upgrades plane, sondern Verbesserungen kontinuierlich einfließen lassen könne. "Im Zuge der fortschreitenden Innovation in den Vereinigten Staaten wird dieser Bomber in der Lage sein, unser Land mit neuen Waffen zu verteidigen, die noch nicht einmal erfunden sind", sagte Lloyd Austin III. "Das macht ihn für unsere Aufgabe, Amerika zu verteidigen und Aggressionen abzuschrecken, unverzichtbar." "Mit der B-21 wird die US-Luftwaffe in der Lage sein, Bedrohungen überall auf der Welt abzuwehren oder auszuschalten", sagte Tom Jones, Corporate Vice President und President von Northrop Grumman Aeronautics Systems. Die B-21 ist in der Lage, sich im gesamten Kampfgebiet mit mehreren Systemen und in allen Bereichen zu vernetzen.
Die B-21 Raider wurde zu Ehren der Doolittle Raider im Zweiten Weltkrieg benannt, als 80 Männer unter der Führung von Oberstleutnant James "Jimmy" Doolittle mit 16 mittelgroßen B-25-Mitchell-Bombern vom Flugzeugträger aus zu einer Mission über Tokio aufbrachen, die den Verlauf des Zweiten Weltkriegs veränderte. Die Bezeichnung B-21 weist den Raider als ersten Bomber des 21. Jahrhunderts aus.

Northrop Grumman / USAF
Das Flugtestprogramm wird hauptsächlich auf der Edwards AFB durchgeführt.
Programm verzögert
Nach der Enthüllung wurde es ziemlich ruhig um die B-21. Secretary of the Air Force Frank Kendall erklärte im März, dass sich das Programm "um einige Monate" verzögert habe, sich aber immer noch innerhalb des generellen Zeitplans befinde. Northrop Grumman wiederum teilte bei einem Briefing zu den Quartalszahlen am 27. Juli mit, dass man im aktuellen Quartal den "Power-on"-Meilenstein erreicht habe. Bei der üblichen AFA-Konferenz Mitte September verkündete die US Air Force den Beginn der Triebwerkstestläufe und gab zwei neue Fotos heraus. Vor den Northrop-Grumman-Quartalszahlen am 26. Oktober 2023 wurde schließlich bestätigt, dass die Rolltests angelaufen sind, und es tauchten im Internet erste Spotterfotos auf, die auch den Heckbereich zeigen. Erst nach dem Erstflug kann nun ein Vorserienvertrag (LRIP) unterzeichnet werden. Das Flugtestprogramm wird hauptsächlich auf der Edwards AFB durchgeführt.
Auslieferungen ab "Mitte des Jahrzehnts"
Insgesamt sechs Prototypen werden derzeit im Plant 42 in Palmdale gebaut, wobei einer für statische Tests reserviert ist. Sie werden auf derselben Produktionslinie hergestellt wie die späteren Serienflugzeuge, mit denselben Werkzeugen, Verfahren und Techniken. "Dieser Ansatz hat es den Produktionsingenieuren und -technikern ermöglicht, die gewonnenen Erkenntnisse direkt auf die Folgeflugzeuge zu übertragen", sagt die US Air Force. Etwa 400 Zulieferer aus 40 US-Bundesstaaten sind an dem Programm beteiligt. Die Lieferungen sollen dann "Mitte des Jahrzehnts" beginnen. Geplant ist die Beschaffung von "mindestens 100" Maschinen. Der Stückpreis soll durchschnittlich nicht über 692 Millionen Dollar (Preisstand 2022) liegen. Insgesamt betragen die Kosten nach aktueller Kalkulation wohl 240 Milliarden Dollar, davon 25 Milliarden für die Entwicklung, 64 Milliarden für die Produktion und 114 Milliarden für den Betrieb von 100 Bombern über 30 Jahre (Preisstand 2019).

US Air Force
Die radarabsorbierende Beschichtung der B-21 soll besonders wartungsfreundlich sein.
Rolle in der USAF
Entscheidungen über die Standorte wurden schon getroffen. Die Ellsworth AFB in South Dakota wird als erste Hauptbetriebsbasis und formelle Ausbildungseinheit für die B-21 dienen. Whiteman AFB (Missouri) und Dyess AFB (Texas) sind die bevorzugten Standorte für die übrigen Einsatzbasen. Der Raider wird dabei sowohl den Stealth-Bomber Northrop Grumman B-2A Spirit (Whiteman AFB) als auch die Boeing (ehemals Rockwell) B-1B Lancer ersetzen, die nach Zulauf der neuen Maschinen sukzessive ausgemustert werden. Einzig die Boeing B-52H (umbenannt in B-52J) werden bis vielleicht nach 2050 bei der USAF bleiben. Für sie ist in den nächsten Jahren ein umfangreiches Upgrade der Avionik geplant. Auch eine Remotorisierung mit acht Rolls-Royce F130 (BR700-Familie) statt der uralten acht Pratt & Whitney TF33-P-3/103 ist bereits beauftragt.
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